Project

”Alles Sichtbare muss in das Reich des Unsichtbaren übergehen. Du darfst passieren mein Freund.” (aus ”Tron”)

WAS IST O.R.pheus?

O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] bildet den Auftakt einer interdisziplinären Werkreihe mit einer radikalen sinnlich-suggestiv vereinnahmenden Ästhetik, welche die Möglichkeiten medialer, cineastischer und theatraler Mittel auslotet. O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] verknüpft das Potential von Musiktheater, Film und Computerspiel innerhalb interaktiver Environments zu einer neuer Kunstform und beschreitet inhaltlich, performativ als auch technisch neue Wege, um an einer Weiterentwicklung des zeitgenössischen Musiktheaters wirken und ein hybrides Gesamtkunstwerk zu schaffen. Die Entwicklung erfolgt in verschiedenen Etappen wobei die jeweiligen Stadien als eigenständige und in sich geschlossene Arbeiten zu betrachten sind. Die Projektreihe erforscht in diesem Zuge aktuelle technologisch-mediale Entwicklungen z.B. bildbasierte Augmented Reality Tracking Technologien, Nahfeld- und Mobilkommunikation u.a. hinsichtlich ihrer künstlerischen Anwendungsmöglichkeiten und dockt zugleich am heutigen gesellschaftlich-medialen Konsum- und Sehverhalten an.

O.R.pheus –Eine musikalisch-theatrale Rauminstallation” fand als erster Teil einer Werkreihe im Zuge der Einzelprojektförderung für freies Theater der Landeshauptstadt München in Kooperation mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) statt und wird von der Erwin und Gisela von Steiner Stiftung München, der Münchner Kultur GmbH und dem Muffatwerk München unterstützt. Es handelt sich hier um den Piloten des angestrebten Musiktheater-Spiel-Konzeptes, das am 30.5.2012 in München uraufgeführt wurde, Hierzu ein Auszug aus folgender Pressemeldung des Kulturreferats der Landeshauptstadt München:

[...] Eine Förderung erhält auch Evelyn Hribersek für “O.R.pheus – Eine musikalisch-theatrale Rauminstallation“, bei der die Grenzen zwischen Performance, bildender Kunst und medialer Konstruktion überschritten werden sollen [...]

Bilder, Gegenstände und Besucher [sollen] Teil eines interaktiven Raumgefüges werden. Der Orpheus – Mythos wird hier in die Jetztzeit transferiert. So stehen die ersten beiden Buchstaben O.R. in metaphorischer Bedeutung für den Hades als „operation room“, als Operationssaal, in dem plastisch-chirurgische Eingriffe vorgenommen werden und das Ich sich erweitern, verschönern, verstümmeln, umarbeiten lässt. Mit Recht verweist die Künstlerin auf die berühmte Performerin Marina Abramovic, die sich in den Uffizien von Florenz gleichsam auf einen OP-Tisch legte, über dem ein Medizinschrank hing, und die Zuschauer aufforderte, an ihrem Körper Eingriffe zu vollziehen. Die amerikanische Performerin Orlan ließ sich öffentlich operieren, indem sie sich den Medien stellte, um die Forderungen der Gesellschaft an das weibliche Schönheitsideal auszustellen und zu kritisieren. Der international berühmte Performer Stelarc fügte seinem Körper künstliche Glieder hinzu und mutierte in seinen gewagten Performances gleichsam zu einem Cyber-Monster. In diesem Sinne bezieht sich die Künstlerin Evelyn Hribersek in ihrer projektierten Videoinstallation auf diese Performances, indem sie mit Tänzern, Schauspielern und Sängern [...] proben wird und sie als Metamorphosen auf Bildschirmen erscheinen lässt. Nicht live treten die Performer auf, sondern verwandelt als magische Bilder. „Schockgefroren “ – so der Titel der jüngsten Videoinstallation der Künstlerin – mag symptomatisch sein für Evelyn Hriberseks neues Projekt, das die Grenzen zwischen Performance, bildender Kunst und medialer Konstruktion sprengt und überschreitet. Die Jury befürwortet dieses außergewöhnliche Kunstprojekt, das in die Gegenwart der Zukunft weist.                     (Vergabe der Theater- und Tanzförderung 2010)

INHALT

O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] hinterfragt kritisch den gesellschaftlichen Umgang mit der modernen Medizin als transzendentes Mittel. Die Mythen um Orpheus beschäftigen sich mit der menschlichen Sterblichkeit und dem Überschreiten eigener und naturgegebener Grenzen, dem Eindringen in verschiedene Formen der Transzendenz und der Nicht-Akzeptanz des Todes. Ausgehend davon spannt das Projekt einen Bogen von der Antike über den klassischen Opern-Stoff in die Gegenwart.

Ausgangspunkt des Konzeptes ist die These, dass Orpheus den Hades nicht religiös motiviert als Überwindung des Selbst sondern eigennützig betritt, um seine Geliebte Eurydike zu retten. Heute finden Grenzüberschreitungen zur Verwirklichung des bedürftigen Selbst in modernen OP-Sälen statt, welche u.a. ein optimiertes Erscheinungsbild und eine wertvollere Identität versprechen. In Konfrontation mit Alter und Tod sowie Körperkult und Schönheitswahn siedelt das Projekt die mythologische Welt des Orpheus in der Jetztzeit an und stellt die Frage nach transzendenten Orten wie Hades oder Elysium , nach Verdammnis oder Glücksversprechen neu.

FORM

O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] als interaktive Form des Musiktheaters bezieht sich auf Konzepte der Augmented Reality (Erweiterung der Realitätswahrnehmung mittels digitaler Medien) und berührt den Bereich des Alternate Reality Game (ein auf verschiedene Medien zurückgreifendes Spiel für mehrere Teilnehmer, bei dem die Grenze zwischen fiktiven Ereignissen und realen Erlebnissen bewusst verwischt wird). Durch die bewusste Verknüpfung von simuliert-virtueller und realer, begehbarer Umgebung entsteht eine dynamische Mensch-Maschine-Interaktion in der sich virtuelle und reale Ereignisse mischen (Mixed Reality).

Im ersten Teil der Werkreihe wird das Prinzip der Verknüpfung von visuellen Markern und digitalen Inhalten, das beispielsweise durch die in der Werbung eingesetzten QR-Codes bekannt ist, für ein Mobiles Storytelling eingesetzt. Die mobilen Kanäle werden als Modul einer crossmedialen Geschichte genutzt, die der jeweilige Spieler mittels einer speziellen Software auf seinem mobilen Endgerät dekodieren und in beliebiger Reihenfolge abrufen kann.

Das gesamte speziell für O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] entwickelte technische Rahmenwerk mit Software, Hardware und Trackingtechnologie lässt somit real ausgestattete Räume und virtuell erschaffene Computerspiel-Settings verschmelzen, in denen sich der Besucher bewegen und die musiktheatralen Inhalte ”erspielen” kann. Figuren tauchen nicht mehr als lebende Darsteller auf, sonder werden innerhalb des Raumsettings virtuell verortet. O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] nutzt somit die Möglichkeiten von AR über Marker, schafft Wegweiser durch eine neue Wirklichkeit und eröffnet Schaufenster in die virtuelle Welt des Orpheus.

SPIELORT & RAUMKONZEPTION

Ein ansonsten unzugänglicher Tiefschutzbunker am Münchner Hauptbahnhof wird exklusiv für die Uraufführung von O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] zur Verfügung gestellt. Die architektonische Grundlage wird durch entsprechende Einbauten zu einem labyrinthischem System weiterentwickelt, Originalteile des Film-Sets mit eingefügt: Die bereits auf Videomaterial gebannten und weitergeführten Welten nehmen somit für den Besucher als begehbare Szenarios dreidimensionale Gestalt an. Es entfaltet sich ein Spiel mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen: In über 10 Raummodulen entsteht ein Actio-Reactio-Gefüge, das dem Besucher innerhalb einer virtuellen Schnitzeljagd ein einzigartiges und stets unerwartetes musikalisch-visuelles Erleben ermöglicht. Der Spielort verdichtet sich in einem Netz aus Tönen, Worten und Bildern zu einem multimedialen Gefüge, das der Zuschauer selbständig als Einzelner erkunden darf.

Die einzelnen Räume des Bunkers können als Module inszenatorisch, visuell und musikalisch unabhängig voneinander agieren. Die daraus resultierenden eigenständigen mobilen Bestandteile der Installation können hierdurch auch in anderer Konstellation, Anordnung und unterschiedlicher Menge an verschiedensten Orten gezeigt werden und eröffnen somit erneut eine andere Dimension des Erlebens. Das gesamte Ensemble der Räume wird exklusiv nur im Bunker zu besuchen sein.

ÄSTHETIK – SET-DESIGN & VISUELLE BILDMEDIEN

Ästhetisch orientiert sich O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] in seiner Ausstattung und Farbigkeit an den 50er/60er Jahren sowie an modernen Computerspielen. In den Räumen des Tiefschutzbunkers entsteht eine wundersame Krankenhaus- und Laborsituation, die realistische Ausstattung mit neuen Medien kombiniert, um eine surreal-futuristische Bilderwelt zu erzeugen, die zugleich einen haptischen und erlebaren Charakter besitzt. Die orphisch-transzendenten Welten spiegeln sich in den so in einem fantastischem Raumsetting wieder, in denen Gegenstände einen eigenen Charakter entwickeln und gemeinsam mit den Räumen zu Protagonisten werden.

Für die spezielle O.R.pheus-Ästhetik entstehen aufwendig animierte Videosequenzen per Stop-Motion-Verfahren, das in Modellsituationen und in Originalsetbauten erstellt wird, die sich als Teil der ”Live”-Installation im Spielort wiederfinden. In den Videos sowie später in den verschiedenen Teilen der Rauminstallation werden die heutigen Dimensionen des Orpheus Mythos weiterführt: Ein gekachelter Operationssaal als Ausgangspunkt entwickelt sich weiter zum sakralen Raum, eine heruntergekommene Toilettenanlage in ein klaustrophobisches Erinnerungslabyrinth, ein Killerkabinett des Hades zum Elysischen Bad.

Videoprojektion wird via Augmented Reality zum dreidimensionalen und zum integrierten Teil des Raums, das interaktiv mit dem Besucher agiert. Verschiedene Formen von Interaktivität in Kombination mit Bildmedien werden hierfür entwickelt. Für O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] werden sogenannte Mobicodes produziert, welche jeweils Fragmente bzw. einzelne Folgen einer Geschichte darstellen. Um die Geschichtsfetzen abzurufen, werden designte und dadurch wiedererkennbare Marker als bewusster Teil der Gestaltungskonzeption innerhalb der Installation eingesetzt. Der Spieler kann diese mittels einer speziellen Software auf seinem mobilen Endgerät dekodieren und zum Leben erwecken.

MUSIK

Die Musik wird zum Ausgangspunkt und Träger innerhalb der Installation: Es entstehen Kompositionen, indem die Gegenstände in Orpheus’ Sinneswelt einen eigenen musikalischen Charakter entwickeln und zu Protagonisten werden. Die Verknüpfung des Besuchers mit einem interkativem Environment eröffnet zusätzlich die Möglichkeit, das musikalisch-visuelle Erleben bewusst sowie unbewusst zu beeinflussen und für jeden Besucher ein anderes Erlebnis zu schaffen.

EXKLUSIVES THEATERERLEBNIS

O.R.pheus [ orpheus orpheus2012 ] ermöglicht dem Besucher ganz alleine für einen bestimmten Zeitraum die Räume der Installation uneingeschränkt zu erforschen, ohne die Anpassung an eine Gruppe oder anderweitiges Publikum, wie im Museum oder der Oper üblich. Die persönliche Entscheidung und der Zufall bedingen in welcher Reihenfolge er Räume betritt, Erzählstränge wahrnimmt, Dinge auslöst. Somit kreiert er seine ganz eigene ästhetische Erfahrung und seinen eigenen inhaltlichen Zusammenhang. Der Bunker verdichtet sich über ein Netz aus Tönen, Worten und Bildern zu einer multimedialen Rauminstallation.